Meine Wissenschaft und mein Glaube

Vortrag von Barbara Becker, ETH Global, 04.03.2009

I. Ich bin in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen - als Pfarrerstochter - so dass mir der christliche Glaube quasi schon pränatal vermittelt wurde. Obwohl ich mir diesen Glauben schon als Jugendliche zueigen gemacht hatte, war für mich die entscheidende Phase der eigenen Auseinandersetzung damit meine Studienzeit.

Ich habe in den 70er Jahren an der Universität Göttingen Mathematik und Biologie studiert, um Gymnasiallehrerin zu werden. Dort kam ich bald in Kontakt mit einer christlichen Studentengruppe, in der zu jener Zeit die brennenden gesellschaftlichen Fragen der 68er Bewegung angekommen waren. Insbesondere einige Theologiestudenten stellten in der reformierten Tradition von Karl Barth die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung der Christen für die aktuelle Gegenwart.

Das gemeinsame Leben und die Diskussionen in der Gruppe hatten bei mir zwei Wirkungen: Erstens habe ich mich damals und seither so intensiv wie möglich mit der theologischen Reflexion meines Glaubens auseinander gesetzt. Zweitens spürte ich, dass ich beruflich an den grossen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit mitarbeiten wollte (ohne damit den Lehrerberuf abwerten zu wollen). Konkret führte das dazu, dass ich nach Abschluss meines Diploms auf tropische Landwirtschaft umgestiegen bin, um an den Fra- gen der Welternährung mitzuarbeiten. Damit hatte ich die Berufung für mein Leben gefunden.

Ich mache hier einen kleinen Exkurs:

Vor wenigen Wochen habe ich mich mit Franz von Assisi beschäftigt. Dieser lebenslustige Sohn eines reichen Textilkaufmanns beschliesst mit 22 Jahren, Ritter zu werden. Nach einer ersten Niederlage, Gefangenschaft und Krankheit bricht er erneut auf zum Kampf. Davon wird folgendermassen berichtet:

„Als er bis Spoleto gekommen war, um von da weiter nach Apulien zu ziehen, ver- fiel er in tiefes Grübeln. Und als er sich niedergelegt hatte und halb schlief, kam es ihm plötzlich vor, wie wenn ihn jemand fragte, wohin er ziehen wolle. Franz enthüllte seinen ganzen Plan ... und fragte: ,Herr, was willst du, dass ich tun soll?' ,Kehre zurück in die Heimat, und es wird dir gesagt werden, was du tun sollst!' Als Franz erwachte, begann er über das Erlebnis gründlich nachzudenken... Und am Morgen zog er eilends nach Assisi zurück.“ (Drei-Gefährten-Legende)

Der Auftrag, den er bekam, bestand darin, die Kirche wieder aufzubauen. Daraufhin renovierte er sofort eine halb verfallene Kapelle in Assisi, es brauchte aber noch einiges Ausprobieren und weiteres Suchen, bis sich ihm die wahre Gestalt dieses Auftrags erschloss.

Ich habe das seinerzeit ähnlich erlebt. Meines Erachtens ist ein Hochschulstudium die beste Lebensphase für dieses Suchen und Fragen. Ich möchte alle Studierenden ermutigen, sich neben dem Sammeln von Kreditpunkten die Zeit für solch eine Auseinandersetzung mit den existentiellen Lebensfragen zu nehmen und sich dafür die Weggefährten, Gesprächspartner/innen und Gruppen zu suchen, die dabei weiter helfen können.

II. Seit ich in die Agrarwissenschaften eingestiegen bin, habe ich versucht, meine wissenschaftliche Arbeit von meinem Glauben her zu reflektieren. Ich möchte dies an einem Beispiel deutlich machen. Bevor ich nach Zürich kam, habe ich über Nachhaltigkeitsindi-katoren habilitiert. Das Thema Nachhaltigkeit kam damals in der Folge des Erdgipfels von Rio 1992 gerade in die wissenschaftliche Diskussion. Erst im Laufe der Forschung wurde zunehmend deutlicher, dass es sich hierbei mehr um ein normativ-politisches als um ein naturwissenschaftliches Konzept handelte. Es erforderte daher die Auseinandersetzung mit dem Naturverständnis, das den jeweiligen Denkschulen in der damaligen Nachhaltigkeitsdiskussion zugrunde lag. So hatte sich beispielsweise bei der Präambel der Rio Declaration die anthropozentrische Sichtweise der Natur (Kants Kategorischer Imperativ) gegenüber der biozentrischen durchgesetzt, nach der wir den anderen Mitmenschen gegenüber ver- antwortlich sind, wie wir mit der Umwelt umgehen, und nicht direkt anderen Lebewesen selbst, also Tieren und Pflanzen oder - in der Extremposition - auch der unbelebten Natur als moralischen Subjekten (Deep Ecology). Für mich war es befreiend zu sehen, dass nur die Interpretation der Natur als Schöpfung es ermöglicht, letztlich dem Schöpfer gegenüber verantwortlich zu sein statt den Geschöpfen selbst. Ausserdem empfinde ich es als Entlastung, dass letztlich der Schöpfer selbst seine Schöpfung erhält, dass wir Menschen damit nur die „Stewardship“ Rolle haben, aber nicht das ganze Universum tragen müssen.

Auch hier möchte ich einen kleinen Verweis auf Franziskus geben. Er stellt sich in seinem Sonnengesang in eine Reihe mit den Gestirnen und den vier Elementen, wenn er mit Bruder Sonne, Schwester Mond, den Brüdern Wind und Feuer und schliesslich der Schwester Tod seinen Schöpfer lobt. Die Anerkennung des Schöp- fers führt keineswegs zu unverantwortlicher Naturausbeutung, sondern zum ehrfürchtigen Umgang mit ihr, wie seinerzeit besonders A. Schweizer pionierhaft erkannt hat.

III. Da meine Tätigkeit hier an der ETH seit 10 Jahren das Forschungsmanagement ist und nicht die Wissenschaft im Sinne eigener Forschung, möchte ich zum Schluss mein Statement auf diesen Aspekt erweitern.

Das Management des Nord-Süd-Zentrums ermöglicht mir einen breiteren Zugang zum Thema Welternährung an der Schnittstelle von Forschung und Politik als dies die Arbeit an einem spezifischen disziplinären Forschungsaspekt erlauben würde. Das entspricht genau meinem ursprünglichen Wunsch - oder meiner Berufung - zu der gesellschaftlichen Dis- kussion beizutragen.

Management in einem Team und einem vielfältigen Netzwerk verschiedener Anspruchs- gruppen erfordert die verstärkte Auseinandersetzung mit sich selbst. Mit einem Beispiel aus diesem Bereich möchte ich den Bogen zu meinem christlichen Elternhaus schliessen.

Vor drei Jahren habe ich an einem Kurs zu Forschungsmanagement teilgenommen, der erhebliche Anteile an Selbstreflexion umfasste. Eine Uebung war, sich die wichtigsten so genannten „Elternbotschaften“ bewusst zu machen, also die elterlichen Sätze und Aufforde- rungen, die einen seit frühester Kindheit begleiten und bei aller Emanzipation von den Eltern immer noch die eigenen Entscheidungen und das erwachsene Verhalten bestimmen. Nach einigem Nachdenken kam mir als wichtigste Elternbotschaft mein Taufspruch in den Sinn, den ich bekam, als ich noch keine vier Wochen alt war: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder heissen dürfen.“ Die Uebung hat mir klar gemacht, dass ich von frühester Kindheit an mit dem Bewusstsein aufwachsen durfte, in dieser absoluten Gottesliebe und Annahme als sein Kind geborgen zu sein, unabhängig davon, wie ich mich benehme. Diese Geborgenheit begleitet mich bis heute und diese Erfahrung der Liebe Gottes wünsche ich allen.

Barbara Becker, ETH Global, 02.03.2009